29 Nov Buchbesprechungen Dezember 2023
Sabine Lichtenfels & Lee v. d. Busche:
Kontakt zwischen Mensch, Tier & Natur
Onlinekurs • Preis nach Ermessen
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Tamera, eine Lebensgemeinschaft in Portugal, forscht tiefgründig daran, wie es uns gelingen kann, aus dem Kreislauf von Angst und Gewalt auszutreten und eine tragfähige Friedenskultur aufzubauen. Der elfwöchige Online-Kurs von Mitarbeiter:innen aus Tamera bietet eine einzigartige Möglichkeit, in einen Forschungsraum einzutreten, der uns den Weg hin zu einer solchen Kultur ebnet.
Die Gastgeberinnen des Kurses verdeutlichen eindrücklich, warum ein nicht-hierarchischer Kontakt für den Aufbau einer Friedenskultur essenziell ist: Dadurch, dass alle Wesen ihren Platz einnehmen und miteinander in gesunder Beziehung stehen, kann ein stabiler Gesamtorganismus entstehen, der nicht mehr von Dominanz geprägt ist, sondern von Zusammenarbeit und Verbundenheit.
Dieser Kurs ist für alle Menschen, die eine Sehnsucht nach tiefgreifendem Wandel in sich tragen und in denen die Fragen leben: Wie geht Frieden? Welche Muster leben in allen von uns, die zu der Kriegskultur beitragen, die derzeit noch so präsent ist auf der Erde? Wie zeigen sich diese Muster in der Einstellung Tieren gegenüber – gerade gegenüber Tieren, auf die wir häufig mit Abwehr oder Angst reagieren, zum Beispiel Wildschweine oder Ratten? Was können wir von Tieren lernen, wenn wir uns lauschend, neugierig und demütig auf einen Kontakt mit ihnen einlassen?
Im Rahmen von Video-Interviews erhalten wir wertvolle Informationen und Geschichten von Menschen, die ihr Leben der Erforschung der Kooperation und Freundschaft mit der Tierund Pflanzenwelt gewidmet haben. Deutlich wird dabei, dass Zusammenarbeit mit der Natur immer auch eigene innere Arbeit bedeutet – und somit eine Bereicherung für unsere gesamte Lebensgestaltung bereithält.
Die Inhalte können in einem Studienheft nachgelesen und vertieft werden. Außerdem werden Meditationen veranstaltet und Übungen in der Natur und im Kontakt mit anderen Wesen vorgeschlagen. Es werden Webinare angeboten, die einen persönlichen Vertrauensraum schaffen und Austausch ermöglichen. Insgesamt kann jeder/ jede immer für sich selbst wählen, in welcher Tiefe man sich mit den Themen auseinandersetzen will und wie viel Zeit man aufwenden möchte.
Dieser Kurs ist vollumfänglich zu empfehlen, nicht zuletzt wegen der Hingabe und Liebe fürs Detail, mit der er kreiert wurde. Insbesondere werden die großen und tiefen Fragen unserer Zeit angestoßen. Dieser Kurs liefert also allen Menschen, die berührt und inspiriert werden wollen, Nahrung für die Seele.
Laura Wevelsiep
Thomas Metzinger
Der Elefant und die Blinden
Auf dem Weg zu einer Kultur der Bewusstheit
Berlin Verlag, 2023, geb., 950 Seiten
€ 48,00 (D), € 49,40 (A)
Prof. Dr. Metzinger möchte in seiner Untersuchung phänomenologisch vorgehen, das bedeutet, er hat keinen metaphysischen Überbau oder ein bestimmtes philosophisches System zur Erklärung dessen, was Meditierende beim Meditieren erleben, sondern es geht um eine reine Beschreibung der Erfahrung.
Das Buch ›Der Elefant und die Blinden‹ enthält somit sehr viele schriftliche Zeugnisse der Meditationspraxis, die durch die Befragung von über 500 Menschen mit teilweise langjähriger Meditationspraxis in über 50 Ländern erhoben wurden. Darüber hinaus erläutert Metzinger diese Erfahrungsberichte und ordnet sie in die Philosophie, die Neurowissenschaften und die komputationale Wissenschaft ein.
Metzingers Ziel ist die Isolierung einer »minimalen phänomenalen Erfahrung« (MPE), die er dann als das identifiziert, was von Meditierenden der buddhistischen Tradition oft »reines Gewahrsein« genannt wird: »Reines Gewahrsein könnte sich als die »Konvergenzzone« erweisen, in der eine radikalere und intellektuell ehrlichere Form der spirituellen Praxis, die kognitiven Neurowissenschaften sowie die moderne Philosophie des Geistes schließlich zusammenkommen. Will die Philosophie (und Wissenschaft) des Bewusstseins echte Fortschritte erzielen, muss sie endlich jene Formen des Bewusstseins ernst nehmen, denen sie lange Zeit am skeptischsten gegenüberstand: die selbstlosen Erfahrungen des »reinen Bewusstseins «, wie sie unter anderem in der Meditation auftreten.
Die Bewusstheit selbst kann nicht nur aus der Erste-Person- Perspektive erfahren werden, sondern auch aus einer Perspektive, die in diesem Buch als »Keine-Person-Perspektive« (engl. zero-person perspective) bezeichnet wird. Diese besondere Zugangsform wird unter anderem durch die besten Formen spiritueller Praxis erzeugt. Wie sich herausstellen wird, ist das Bewusstsein selbst auf seiner tiefsten Ebene kein subjektives Phänomen in einem philosophisch interessanten Sinne. Stattdessen erkennt es sich offenbar selbst, jedoch »nicht-egoisch«. So paradox es klingen mag: Es existieren tatsächlich selbstlose Formen des Selbstbewusstseins.« (Metzinger, Der Elefant und die Blinden, S. 19)
Diese Entdeckung, dass es jenseits der Egostruktur eine Wahrnehmung von Bewusstheit gibt, sieht er als eines der wichtigsten Ergebnisse seiner Forschung. Er unterscheidet dann auch in Kapitel 30 zwischen normaler MPE und reflexiver MPE. »Reflexive MPE« bedeutet, es gibt eine Art Gewahrsein, dass sich selbst wahrnimmt, ohne egoisch zu sein. Insgesamt formuliert er seine Arbeitshypothese folgendermaßen: »Zu meiner Arbeitshypothese gehört, dass Bewusstsein nicht nur in Abwesenheit von Gedanken und Sinneswahrnehmungen existieren kann, sondern sogar ohne Zeiterfahrung, ohne Selbstverortung in einem räumlichen Bezugssystem und ohne jede Form von körperlichem oder egoischem Selbstbewusstsein. « (16)
Das ist ein interessanter Ansatz, bedeutet es doch, dass wir als Erkenntnisquellen nicht nur die Sinneswahrnehmung und die logisch-rationale Denkleistung haben, sondern noch eine dritte Form, die nicht auf Sinneswahrnehmung, nicht auf begrifflichem Denken und nicht auf einer subjektiven Perspektive beruht. Man hätte hier somit ein objektives Erkennen, dass alle Begrenztheiten einer egoischen Perspektive übersteigt, beziehungsweise – spirituell formuliert – transzendiert. Damit überschreitet Metzinger den Raum der empirischen Evidenz und der Wissenschaft. Gleichzeitig bezeichnet er sich als »ein(en) Philosoph des Geistes und der Kognitionswissenschaften, der interdisziplinär arbeitet und einen undogmatischen naturalistischen Ansatz verfolgt.« (18)
Sein Versuch ist es unter anderem, die verschiedenen epistemischen Zugänge zur Wirklichkeit zu integrieren. Tatsächlich sieht er darin eine unverzichtbare Zusammengehörigkeit, wenn man die Absicht hat, zu echten Erkenntnissen voranzuschreiten, die die Bedingungen der von ihm betonten intellektuellen Redlichkeit erfüllen. Kein Widerspruch zwischen Wissenschaft und Spiritualität ist hier also die Grundannahme, sondern im Gegenteil, ein nicht trennbarer Zusammenhang. Dies hat er früher schon in seinen drei Thesen ausgeführt:
[1] Das Gegenteil von Religion ist nicht Wissenschaft, sondern Spiritualität.
[2] Das ethische Prinzip der intellektuellen Redlichkeit kann man als einen Sonderfall der spirituellen Einstellung beschreiben.
[3] Die wissenschaftliche und die spirituelle Einstellung entstehen in ihren Reinformen aus derselben normativen Grundidee.
Die genauen Ausführungen dazu gibt es in seinem Beitrag in Tattva Viveka 69.
Metzinger macht deutlich, dass die Erforschung des Bewusstseins noch am Anfang steht und bis jetzt noch keine Erkenntnisse darüber vorliegen, was Bewusstsein wirklich ist: »Fast drei Jahrzehnte nach der Gründung der Association for the Scientific Study of Consciousness im Jahre 1994 wissen wir noch nicht einmal, was genau es eigentlich ist, das hier erklärt werden muss.« (17)
Das Buch ist 950 Seiten stark und entsprechend lange dauert es, es zu lesen. Besonders interessante Kapitel sind Kapitel 9,17 und 30, in denen es um sehr fundamentale erkenntnistheoretische Fragen geht. Diese sind möglicherweise nicht für alle Menschen gleichermaßen interessant, aber es handelt sich hier um sehr wichtige Grundlagenforschung.
Ich persönlich kann nicht mit allen seinen Positionen übereinstimmen. Seine intellektuelle Redlichkeit erlaubt ihm keine metaphysischen Annahmen. Eine metaphysische Annahme ist zum Beispiel: ›Ich bin ewiger Geist.‹ Oder: ›Wir sind alle eins mit Gott.‹ Es gibt viele derartige metaphysische Setzungen. Das Problem ist, dass sie die Wirklichkeit festlegen, ohne dass man in irgendeiner Weise beweisen könnte, dass es so stimmt. Es sind einfach Glaubenssätze, die laut Metzinger dazu dienen, die Menschen zu beruhigen und sie von der Tatsache ihrer Sterblichkeit abzulenken.
Diese Entsagung metaphysischer Axioma lässt ihm letztlich nur die Möglichkeit, sich auf den empirischen Tatsachenbestand zu stützen, und so kommt er zu dem Ergebnis, dass wir Menschen materielle Bio-Computer sind, deren Hauptziel das Überleben ist. Ob das aus der Sicht höhere Bewusstseinsinhalte und auch Bewusstseinszustände wirklich das letzte Wort ist, sei dahingestellt. Beweisen können wir bis dato weder das eine noch das andere.
Ronald Engert
Florian Ploberger (Hrsg.)
Krank oder gesund – wie man es sieht
BACOPA, 2023
Hardcover, 388 S., € 29,80
Wer entscheidet eigentlich darüber, wann jemand krank ist? Und wann gelten wir als gesund oder genesen? Sind es Laborwerte und -tests? Oder das eigene Wohlbefinden? Gibt es überhaupt objektive Kriterien für Gesundheit und Krankheit? Oder ist das alles rein subjektiv? In seinem Werk »Krank oder gesund – wie man es sieht« hat Herausgeber Florian Ploberger Perspektiven von Heilkundigen zusammengetragen, unter ihnen bekannte Ärzte, Autoren und Anthropologen wie Wolf-Dieter Storl und Sarah Moritz.
Im Laufe der Lektüre öffnen sich dem Leser die Tore zu einem alternativ-medizinischen Verständnis von Krankheit und Heilung. Die Beiträge geben unter anderem Einblicke in die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), die Traditionelle Tibetische Medizin (TTM), die Traditionelle Europäische Medizin (TEM), den Schamanismus und die Lehre C. G. Jungs. Dabei wird klar: ganz so einfach ist das mit der Definition von Gesundheit und Krankheit nicht. Manche Menschen sprühen trotz tödlicher Diagnose vor Leben und andere fühlen sich trotz Erreichen aller Normwerte äußerst krank. Das kann nicht allein mit der körperlichen Ebene zusammenhängen. Daneben lassen sich noch weitere Ebenen identifizieren, die ebenso zu unserem Wohlbefinden beitragen. Jeder Heiler ist gut beraten, sich neben der körperlichen auch die emotionale, mentale, seelische, geistige und spirituelle Ebene seiner Patienten anzusehen. Auch wenn Labortests und Normwerte hilfreiche Hinweise auf die körperliche Gesundheit eines Menschen liefern können, so tragen doch wesentlich mehr Faktoren zum Wohlbefinden bei.
Warum aber werden wir krank? Gibt es einen tieferen Sinn von dysfunktionalen Körperteilen und Organen? Niemand möchte krank werden. Dennoch verhilft uns Krankheit oft zu einem mehr oder weniger radikalen Umdenken und dann – im besten Falle – mit einer neuen Weltsicht zu Heilung. Besteht der Sinn von Krankheit darin, uns aufzurütteln und festgefahrene, dem Leben abträgliche Gewohnheiten zu ändern und uns wieder in lebenszuträgliche Gewässer zu leiten? Gesundheit ist kein einmal erreichter und definierter Zustand. Es ist ein Prozess, der immer wieder aufs Neue erlangt werden will. Halten wir die Balance, bleiben wir gesund, kippt die Balance, so werden wir krank.
Diese Sammlung von traditionellem Wissen, persönlichen Erfahrungsberichten und tiefen Einsichten ergründt die Bedeutung von Gesundheit, Krankheit und Tod unserer menschlichen Existenz. Ein Buch für all jene, die Hoffnung schöpfen, Eigenverantwortung übernehmen und Sinn in ihrer Erkrankung finden wollen.
Stefanie Aue
Bildnachweis: © Adobe Stockphoto
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