03 März Spirituelles Burn-out
Die Erschöpfung auf dem spirituellen Weg
Autor: Birgit Kayser
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 102
Vielen Menschen erleben während ihrer spirituellen Reise, die ursprünglich als Reise zu innerem Frieden und Verbundenheit begonnen hatte, genau das Gegenteil. Das Streben nach einem idealisierten Ich, das permanent verbunden, lichtvoll und glückselig ist, kann Menschen derart unter Druck setzen, dass die spirituelle Reise nicht in den gewünschten Frieden führt, sondern in eine tiefe Erschöpfung, die in einem spirituellen Burn-Out münden kann. Die Gründe hierfür und was jede und jeder Suchende für sich tun kann, um nicht in diese Falle zu tappen, beleuchtet die Autorin.
Das Paradoxon des spirituellen Burn-outs liegt darin, dass das Streben nach innerer Ruhe zur Quelle der Unruhe wird.
Einführung
Spirituelles Burn-out ist eine tiefe Form der Erschöpfung, die durch das intensive Streben nach spiritueller Erfüllung und Selbsterkenntnis entsteht. Viele Menschen beginnen ihre Reise in der Hoffnung, tiefe Verbundenheit, Zugehörigkeit und Glückseligkeit zu finden – motiviert durch die Vorstellung, dass spirituelle Praxis zur inneren Vollendung führen kann. Doch dieses Streben nach einem Ideal führt oft zu einer Krise: Menschen scheitern an ihren eigenen hohen Erwartungen und dem Drang nach vollkommener Erleuchtung und innerem Frieden. Das Paradoxon des spirituellen Burn-outs liegt darin, dass das Streben nach innerer Ruhe zur Quelle der Unruhe wird.
Im Zentrum der spirituellen Suche steht oft eine tief verwurzelte Sehnsucht – ein Verlangen nach etwas, das im Alltag fehlt. Es ist der Wunsch nach Antworten, die der gewöhnliche Alltag nicht bieten kann, die Hoffnung, durch die spirituelle Praxis eine Verbindung zu etwas Größerem zu finden. Doch was geschieht, wenn dieser Wunsch in eine endlose Suche ausartet?
Viele Menschen beginnen ihren spirituellen Weg aus einem Gefühl der Isolation oder Entfremdung heraus. Sie sehnen sich nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder einem größeren Ganzen, das ihnen Sinn und Halt geben kann. Spirituelle Praktiken sollen eine Brücke zwischen der inneren und äußeren Welt bilden. Doch diese Suche birgt die Gefahr, dass manche den Kontakt zu sich selbst verlieren, indem sie sich anpassen und überfordern, um dazuzugehören, und dabei ihre Authentizität opfern. Die Sehnsucht nach einer echten, tiefen Verbindung zu sich selbst, zu anderen und zur Welt ist ein starker Antrieb. Doch der Druck, immer tiefer zu gehen und diese Verbindung ständig zu spüren, kann ermüdend sein. Das ursprüngliche Verlangen nach Tiefe wird dann unter dem Druck, »tief« sein zu müssen, zu einer Verpflichtung. Wenn diese Tiefe unerreichbar bleibt, bleibt oft nur Leere und Entfremdung zurück.
Die Vorstellung, dass spirituelle Praxis zur Glückseligkeit oder Erleuchtung führt, ist verlockend. Viele Menschen glauben, dass sie durch spirituelle Erkenntnis alle inneren Konflikte überwinden können. Doch wenn sich die erhoffte Glückseligkeit nicht einstellt, entsteht das Gefühl der Unzulänglichkeit – das Gefühl, nicht genug getan zu haben. In der modernen Welt suchen viele nach innerer Ruhe und Stabilität durch Meditation und Achtsamkeit, die zu einem Anker der Gelassenheit werden sollen. Doch der Versuch, permanent ruhig und glücklich zu sein, kann zu einem inneren Zwang werden, bei dem jede Form von Unruhe oder Angst als persönliches Versagen empfunden wird, wodurch der erhoffte innere Frieden entgleitet.
Spirituelles Burnout wird oft durch die tief sitzende Angst genährt, nicht »gut genug« zu sein. Diese Angst wird zur treibenden Kraft eines rastlosen Strebens nach Selbstoptimierung – als könnte Erleuchtung durch Leistung erreicht werden. Viele spirituell Suchende glauben, dass sie nicht weit genug fortgeschritten sind. Diese innere Kritik treibt sie dazu an, immer intensiver zu meditieren, rigorosere Praktiken zu verfolgen und strengere Disziplin zu wahren. Doch der erhoffte innere Frieden bleibt oft aus, weil die Selbstkritik die Sehnsucht nach Gelassenheit überlagert. Der spirituelle Weg wird so zu einem Marathon der Selbstüberwindung, bei dem jeder Moment der Erschöpfung als persönliches Versagen interpretiert wird. Was einst als Freude am Wachsen begann, wird zur Pflichtübung, und das Streben nach Anerkennung – sei es durch sich selbst oder andere – wird zur dominierenden Antriebskraft.
In der verzweifelten Hoffnung, endlich »anzukommen«, greifen viele zu immer mehr Praktiken, strengen Zeitplänen, Kursen, Workshops und Ritualen. Doch dieser Aktionismus führt nicht zu mehr Gelassenheit, sondern verstärkt die innere Anspannung. Spirituelles Burn-out entsteht somit aus dem Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Erfüllung und der Angst, nicht genug zu leisten. Das Streben nach innerer Ruhe und Erleuchtung wird zur Quelle der Erschöpfung, weil es den Charakter einer Aufgabe annimmt, die es zu erfüllen gilt. Spirituelle Praktiken erfordern Hingabe, Zeit und Energie, doch der Alltag ist oft bereits voller Verpflichtungen. Das Gefühl, »nie genug« zu tun, wird zur ständigen Belastung. Hinzu kommen Selbstvorwürfe, wenn Rückschläge erlebt werden oder die Fortschritte ausbleiben. Die Neigung, sich selbst die Schuld zu geben, verstärkt die innere Last, wodurch der eigentliche Sinn der Spiritualität, nämlich das liebevolle Annehmen des eigenen Selbst, in den Hintergrund tritt. Was einst eine Suche nach Befreiung war, wird zur Last, die schwer zu tragen ist. Viele Menschen verlieren auf diesem Weg den Kontakt zu ihrem eigenen Wesen. Der Versuch, einem Ideal des perfekten spirituellen Lebens zu entsprechen, führt häufig in eine tiefe Erschöpfung – eine Erschöpfung, die oft schwerer zu überwinden ist als die äußeren Herausforderungen des Alltags.
Überangebot und die Herausforderungen der spirituellen Szene
Die heutige spirituelle Welt bietet eine überwältigende Vielfalt an Seminaren, Workshops und Coachings. Dieses Überangebot kann für Suchende schnell überwältigend werden und auf Irrwege führen, da die Realität häufig nicht den großen Erwartungen und Versprechen entspricht. Die Dynamiken hinter spirituellen Lehren und Gemeinschaften bergen Risiken, die den Weg zur spirituellen Erfüllung behindern können.
In der spirituellen Szene gibt es unzählige Lehrer und Therapeuten, die behaupten, den besten Weg zur Erleuchtung oder Heilung zu kennen. Oft wird die Szene jedoch von einem unsichtbaren Wettbewerb geprägt, der den Idealen von Bescheidenheit und Einheit widerspricht. Viele spirituelle Lehrer sprechen von der Überwindung des eigenen Egos, doch paradoxerweise steht ihr eigenes Ego oft im Vordergrund. Lehrer, die auf Anerkennung angewiesen sind, neigen dazu, ihre Rolle zu glorifizieren und andere abzuwerten, um als wahre Autorität zu erscheinen. Dadurch wird spirituelle Praxis zu einem Wettbewerb, bei dem es darum geht, wer am »meisten« erleuchtet oder achtsam ist. Zielstrebig und rasch am Ziel ankommen, steht dann weit über, den »eigenen Weg entdecken und begehen«. Unrealistische Versprechen, die schnelle Transformationen oder gar Erleuchtung in kürzester Zeit in Aussicht stellen, verstärken dieses Problem. Die spirituelle Industrie hat sich zunehmend zu einem lukrativen Geschäft entwickelt, und viele Anbieter sehen in der spirituellen Szene eine Möglichkeit, finanziellen Gewinn zu erzielen. Teure Retreats und Coaching-Programme stellen oft eine große finanzielle Belastung dar. Die Notwendigkeit, ihren Lebensstandard zu sichern, zwingt viele Lehrer dazu, ihre Dienste teuer zu verkaufen, wodurch der Fokus vermehrt auf den finanziellen Gewinn und weniger auf das Wohl der Teilnehmer gerichtet wird. Einige Anbieter nutzen die Not der Suchenden aus und konzentrieren sich eher auf wirtschaftliche Interessen als auf echte Unterstützung. Spirituelle Praktiken werden zur Ware, und die Versprechungen entpuppen sich oft als Marketing. Menschen, die solchen Angeboten vertrauen, verlieren nicht nur Geld und wertvolle Lebenszeit, sondern auch das Vertrauen in ihre eigene spirituelle Reise.
Der Glaube, dass harte Arbeit zu Erfolg führt, ist tief in unserer Gesellschaft verankert, und dieser Gedanke hat auch in die spirituelle Praxis Einzug gehalten.
Das Bedürfnis, Teil einer spirituellen Gemeinschaft zu sein, ist zutiefst menschlich. Zugleich gibt es den Wunsch, sich in dieser Gemeinschaft abzuheben und als besonders talentiert oder fortgeschritten zu gelten. Die Zugehörigkeit zu einer spirituellen Gruppe kann Sicherheit und Orientierung bieten, doch viele Gemeinschaften üben subtilen Druck aus, sich besonders spirituell zu beweisen. Die Bewunderung innerhalb der Gruppe wird zum Maßstab für den eigenen Wert, und viele verfolgen ihre Praxis nicht mehr aus eigener Motivation, sondern um Anerkennung zu erlangen. Dieser Drang führt dann dazu, dass Menschen mehr tun, als ihnen guttut, um Anerkennung zu gewinnen. Dieser Weg führt jedoch oft geradewegs ins Burn-out, da die Praxis nicht mehr authentisch ist, sondern äußere Erwartungen erfüllen soll.
Der Glaube, dass harte Arbeit zu Erfolg führt, ist tief in unserer Gesellschaft verankert, und dieser Gedanke hat auch in die spirituelle Praxis Einzug gehalten. Viele glauben, dass intensives Praktizieren spiritueller Übungen Erleuchtung bringt. Die Denkweise, dass nur disziplinierte Arbeit zum spirituellen Erfolg führt, erzeugt enormen Druck. Letztlich führt dieser Leistungsdruck dazu, dass Menschen sich überfordern und das eigentliche Ziel – innere Ruhe und Akzeptanz – aus den Augen verlieren. Statt auf ihren Körper und Geist zu hören, überschreiten viele ihre Grenzen, um ihre spirituellen Ziele zu erreichen. Die wahre Schönheit der Spiritualität – das Annehmen des gegenwärtigen Moments und das Spüren der eigenen Bedürfnisse – wird durch den ständigen Druck, mehr zu wollen, in den Hintergrund gedrängt.
Die spirituelle Suche wird gerne als ein Weg zu innerer Freiheit, Frieden und Glückseligkeit beschrieben. Für viele Menschen entwickelt sich diese Reise stattdessen zu einer Quelle tiefer Erschöpfung – körperlich, emotional und geistig. Gefühle wie Scham, Schuld, Versagen und das ständige Empfinden, nicht genug zu sein, verwandeln eine ursprünglich befreiende Reise in eine Belastung und führen dazu, dass viele sich ausgebrannt und innerlich leer fühlen.
Oft sind die Ziele auf der spirituellen Reise wie Erleuchtung oder das ständige Gefühl der Verbundenheit schwer zu fassen und können zu unerfüllten Erwartungen führen. Das Scheitern führt zu Scham und der Überzeugung, versagt zu haben. Diese Scham verstärkt sich durch die Tabuisierung sogenannter »niedriger« Gefühle wie Wut, Eifersucht oder Unsicherheit, die in spirituellen Gemeinschaften oft als Rückschritt gesehen werden. Wer solche Emotionen empfindet, fühlt sich nicht selten schuldig, weil er glaubt, längst darüber hinaus sein zu müssen. Diese negative Selbstbewertung verhindert eine authentische Erfahrung der eigenen Gefühle und es wird vernachlässigt, dass alle Gefühle eine Berechtigung in dieser Welt haben und eine Unterdrückung der verschiedenen Facetten zu einem Ungleichgewicht führt.
Das Gefühl, nicht »gut genug« zu sein, wird oft durch den Vergleich mit anderen verstärkt. Wenn andere schneller Fortschritte zu machen oder tiefere Einsichten gewinnen scheinen, entsteht ein Druck, selbst immer mehr zu tun. Dieser innere Wettkampf führt zu einer intensiven Selbstkritik, die die innere Erschöpfung weiter verstärkt. Insbesondere durch die sozialen Medien werden die spirituellen Erlebnisse und Erfolge anderer Menschen nicht nur sichtbar gemacht, sondern oft kunstvoll inszeniert. Wenn andere von tiefen Meditationserfahrungen oder besonderen Einsichten berichten, verfallen viele dem Vergleich, fühlen sich unzulänglich und glauben, dass ihre eigenen Erfahrungen weniger wert sind, weil sie nicht so spektakulär erscheinen. Dieses ständige Gefühl des Nicht-Genügens verstärkt den inneren Druck. Der Glaube, dass man ständig an sich arbeiten muss, ist tief in der modernen Spiritualität verwurzelt. Dies verhindert echte Ruhe und lässt Menschen nie wirklich zufrieden mit sich selbst sein. Stattdessen führt es zu einem unendlichen Rennen um Perfektion, das die eigentliche Schönheit der spirituellen Praxis, nämlich das Annehmen des eigenen Seins im gegenwärtigen Moment, in den Hintergrund drängt.
Dies ist nur der Anfang des Artikels. Der vollständige Beitrag ist in der Tattva Viveka 102 erschienen.
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Tattva Viveka Nr. 102
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Schwerpunkt: Wiedergeburt – Kreislauf des Lebens
Erschienen: März 2025
Dr. Pim van Lommel – Bewusstsein jenseits des Körpers • Dieter Hassler – Reinkarnation unideologisch in ihrer Vielfalt untersuchen • Clara Welten – Spirituelle Reinkarnationsreisen • Marina Stachowiak – Das ungeahnte Erbe • Armin Risi – Bewusstseinswandel und »plötzlich große Klarheit« • Dr. Sylvester Walch – Wege zur Ganzheit (2) • Birgit Kayser – Spirituelles Burn-out • Armin Denner – Die Großen Tarot Arkana • Abbas Schirmohammadi & Philipp Feichtinger – Wer einen Baum pflanzt, wird den Himmel gewinnen • Sophie Baroness von Wellendorff – Wenn Licht und Dunkelheit tanzen • Buchbesprechungen • u.v.m.
Zur Autorin
Birgit Kayser studierte Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik und war viele Jahre in der Wirtschaft erfolgreich. Parallel folgte sie ihrem spirituellen Weg und lernte über ein Jahrzehnt bei verschiedenen Meistern. Seit zwanzig Jahren begleitet sie Menschen auf ihrem Heilungsweg und führt seit zwölf Jahren ihre eigene Praxis „Wege der Heilung“. Neben lokalen Behandlungen bietet sie internationale Fernheilungen an. Zudem ist sie als Buchautorin tätig.
Webseite: heilpraxis-kayser.ch
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