Wir sind alle ewige Personen

Wir sind alle ewige Personen

Zur Existenz eines individuellen Selbst

Autor: Ronald Engert
Kategorie: Spirituelle Kulturen, Veden
Ausgabe Nr.: 48

Der Aufsatz ist eine Auseinandersetzung mit der Idee des Buddhismus und Advaita, dass das Ich eine Illusion sei. In der ursprünglichen vedischen Überlieferung beinhaltet die spirituelleWirklichkeit individuelle Personen, von denen Gott die höchste individuelle Person ist. Mit dieser Grundlage offenbart sich die Struktur des Diesseits als ebenso wirklich wie die des Jenseits.

 

 

Zusammenfassung

In den non-dualen Traditionen des Advaita und des Buddhismus existiert kein Konzept eines individuellen Selbst. Innerhalb eines spirituellen Bewusstseins wäre demzufolge mit einer Auflösung des Ich, beziehungsweise des Selbst zu rechnen. Die spirituelle Sphäre wird als formlos und leer betrachtet. Innerhalb der indischen Traditionen gibt es jedoch auch die Tradition der Bhakti (Liebe zu Gott), bei der zwischen falschem und richtigem Ego unterschieden wird. Das richtige Ego ist unser authentisches Selbst. Unsere spirituelle Realität ist die einer ewigen individuellen Persönlichkeit, die in einer ewigen, liebevollen Beziehung mit Göttin- Gott steht. Die wesensgemäße Bestimmung des Lebewesens ist der Dienst für Gott. Dies darf jedoch nicht alsWeltflucht verstanden werden, sondern als holografisches, fraktales Gebilde, indem das Lebewesen in seiner menschlichen Existenzform nicht verkehrt oder falsch ist, sondern in seiner Verbindung mit Gott grundsätzlich aus sich heraus gut ist. In dieser Gesamteinbettung in die göttliche Realität sind auch die menschlichen Beziehungen geheilt, zu allererst und vor allem aber auch die Beziehung zu sich Selbst.
In einem personalen Verständnis der spirituellen Realität gehen alle Subjekte individuell und unreduzierbar in die materielle wie auch in die spirituelle Wirklichkeit mit ein. Wir gelangen zu einer mehrwertigen Logik, in der Gesamtmanifestation zu einer n-wertigen (n = die Menge der natürlichen Zahlen). Alle Ebenen der menschlichen Existenz werden integriert und sind wirklich, auch in der spirituellen Dimension. Dazu gehört auch die Sexualität, die nicht mehr der Hort des Bösen ist, sondern die intimste und edelste Verbindung mit Göttin-Gott.

 

Die spirituellen Schulen des Buddhismus und des indischen Advaita gehen davon aus, dass das Ich beziehungsweise das individuelle Selbst eine Illusion ist. Die Argumentation besteht darin, dass das unbezweifelbare Leiden des Lebewesens in dieser Welt vom Dualismus herrührt. Individuelles Selbst bedeutet den Dualismus von Ich und Nicht-Ich, und so ist die Schlussfolgerung, nur durch die Vorstellung eines getrennten Selbst entsteht das Leiden. In der Erleuchtung erkennen wir, dass dieses kleine Ego, dieses individuelle Ich eine Illusion ist. Das Ende vom Leiden ist die Erkenntnis, dass »niemand zuhause ist«.

Um diese Kernhypothese herum wird ein immenses Aufgebot an logischen und intellektuellen Argumenten ins Feld geführt, um den Widerspruch zu erklären. Wie muss eine letztliche Wirklichkeit geschaffen sein, wenn es keine Dualität gibt? Die Argumentation besagt zum Beispiel, dass jede Art von Individualität eine Form impliziert und eine Abgrenzung ist, die somit Trennung erzeugt. Trennung und Form werden generell als etwas Schlechtes angesehen. Die Lösung im Buddhismus ist »Shunyata«, die Leerheit. Demgemäß gibt es keine selbstexistierende Substanz, keine innewohnende Identität. Im Advaita liegt die Sache etwas anders. Hier besteht die Lösung darin, von einem ungeteilten, formlosen Einen auszugehen, was schließlich durch das Motto »Alles ist eins« ausgedrückt wird. Es gibt nur ein großes Selbst, mit dem wir in der Erleuchtung verschmelzen. Eine individuelle Persönlichkeit ist in beiden Fällen Maya, Illusion.

Ist das Absolute nur Leere und ein Nichts?

Es ist jedoch nicht einzusehen, warum eine Form oder eine Grenze per se ein Merkmal von materiellen Welten sein soll und warum dies in einer spirituellen Wirklichkeit nicht möglich sein soll. Gemäß der Bhaktivedanta-Philosophie1 stellt sich die Sache anders dar: Es gibt einen Unterschied zwischen einer materiellen und einer spirituellen Form. In der spirituellen Wirklichkeit gibt es ewige individuelle Personen – sanskrit: purusha –, die eine spirituelle Form haben2. Diese Form ist keine Begrenzung oder Behinderung oder ein Ausdruck von Illusion, sondern eine unmittelbare Manifestation des inneren Wesens dieser Person. Die unreduzierbare Wirklichkeit besteht aus Personen, die in Beziehungen miteinander stehen.

Alles, was es in der materiellen, relativen Welt gibt, gibt es auch in der spirituellen, absoluten Welt.

 

Diese Beziehungen enthalten Aktivität, Handlungen. Im Wesentlichen handelt es sich um Spiele, die sich aus einer unbeabsichtigten Freude heraus manifestieren. In dieser spirituellen Wirklichkeit finden wir auch Göttin und Gott, die in einer intimen, sehr vertraulichen, »privaten« Beziehung miteinander stehen. Um sie herum gibt es vertraute Freundinnen und Freunde, die an den Spielen des göttlichen Paares beteiligt sind. Das göttliche Paar zeichnet sich durch eine makellose Schönheit, große Intelligenz, Witz, Liebe sowie zahlreiche weitere Eigenschaften raus. Sie führen ewige, glückselige Spiele aus. Zum Beispiel ist diese Höchste Persönlichkeit Gottes als ein begnadeter Flötenspieler bekannt. Hinzu kommen Gesang und Tanz, gemeinsame Festmahle, sportliche Aktivitäten, Versteckspiele, Neckereien und natürlich, als zentralster und intimster Aspekt, erotische Spiele.
Hier handelt es sich nicht um Spielereien im Sinne von Sarkasmus, Ironie oder Zynismus, sondern um Spiele der Freude und der Liebe. Es ist die einzige Konsequenz, wenn man sich die Frage stellt: »Was tun wir, wenn wir befreit sind?« Die Antwort ist klar: wir spielen.Wenn es nichts mehr zu tun gibt, keine Pflicht, keine Befreiung, keine Notwendigkeit, dann sind wir frei und ungebunden. Die Seele behält jedoch den Geschmack daran, sich zu bewegen und im Austausch zu sein. Existieren bedeutet wahrgenommen werden. Nur in der intersubjektiven Beziehung erkennt sich die Seele selbst und genießt ihr Sein.

 

Ronald Engert

 

Alles, was es in der materiellen, relativen Welt gibt, gibt es auch in der spirituellen, absoluten Welt. Es würde keinen Sinn ergeben, wenn es hier etwas gäbe, was es in der spirituellen Welt nicht gibt. Dies würde implizieren, dass das Diesseits mehr enthielte als das Jenseits. Eine wie auch immer gegebene vollkommene, spirituelle Realität müsste jedoch dadurch definiert sein, dass sie die umfassendste und vollständigste Wirklichkeit von allen ist. Eine Wirklichkeit, die alles in Vollkommenheit enthält. Deshalb ist es nahe liegend, davon auszugehen, dass alles, was es hier in der bedingten Realität gibt, auch in einer vollkommenen oder allguten Variante in der spirituellen Realität vorhanden ist. Die diesseitige Wirklichkeit wird in ihrer Fülle und Vielfalt erklärbar, wenn wir wissen, dass es in der spirituellenWirklichkeit die gleichen Komponenten gibt, namentlich individuelle Wesen, Beziehungen zwischen diesen Wesen, Gefühle und Handlungen.

In dieser Weise gibt es auf beiden Realitätsebenen auch ein Ego. In der Bhakti-Tradition spricht man von falschem Ego und richtigem Ego, von illusionärem Ich und authentischem Selbst. Die innere Essenz der spirituellen Realität besteht darin, dass individuelleWesen mittels ihrer Seelenessenz miteinander in Kontakt treten und miteinander spielen. Der vedische Ausdruck »sat-cid-ananda« bedeutet ewig, voller Wissen und allglückselig. Es ist Sinn und Zweck der Existenz, Freude und Glück zu erfahren.

[…]

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Ronald Engert
Wir sind alle ewige Personen.
Zur Existenz eines individuellen Selbst

Der Aufsatz ist eine Auseinandersetzung mit der Idee des Buddhismus und Advaita, dass das Ich eine Illusion sei. In der ursprünglichen vedischen Überlieferung beinhaltet die spirituelle Wirklichkeit individuelle Personen, von denen Gott die höchste individuelle Person ist. Mit dieser Grundlage offenbart sich die Struktur des Diesseits als ebenso wirklich wie die des Jenseits.
 

 

Artikelnummer: TV048e_02

 
 

10 Kommentare
  • Folker Dangers
    Gepostet am 22:53h, 01 Februar Antworten

    Der Yoga-Meister Paramahansa Yogananda sagte: „Alle großen Lehrer erklären, dass dieser Körper die unsterbliche Seele beherbergt, dass sie ein Funke jener Allmacht ist, die alles am Leben erhält.“
    Der Mystiker Meister Eckhart: „Die Seele soll ihren Schritt lenken in die Ewigkeit ihres eignen Wesens und andächtig betrachten, wie sie durch die Gnade Gottes eine unvergängliche Natur ist, die er berufen hat zur Gemeinschaft seiner ewigen Seligkeit“ .. .. „die Seele ist in ihrer Natur Gottes Ebenbild“.
    Und die Sufi-Meisterin Irina Tweedy, die ich vor dreißig Jahren noch kennen lernen durfte, schrieb: „Sufis glauben, das wir ewig, unsterblich und uralt sind, dass wir ohne Anfang und ohne Ende sind. Wir sind einfach ein Strahl Gottes, ein Teil der spirituellen Sonne.“
    Zu diesem Verständnis finde ich auch zunehmends, die Seele ist ein Strahl oder Funke Gottes, des Göttlichen.

  • Folker Dangers
    Gepostet am 21:57h, 11 November Antworten

    Ich sehe es in der Weise Gandhis, dass es unterschiedliche Betrachtungsweisen und Herangehensweisen im Bereich der Spiritualität gibt.
    Diese ist mir nah, ein Text, der wertvolle Impulse gibt.

  • Ralf Meiners
    Gepostet am 12:05h, 08 November Antworten

    Macht euer Ego zum schoensten

  • Andreas Dederichs
    Gepostet am 16:43h, 07 November Antworten

    Also ich bin keine Person! Wieso immer wir ?

    • Tattva Viveka
      Gepostet am 18:44h, 07 November Antworten

      Warum sind Sie keine Person?

    • Andreas Dederichs
      Gepostet am 19:18h, 07 November Antworten

      Weil ich das bestimme .. Ich bin Mensch .. Beschäftige dich doch mal mit Person vs. Mensch 😉 ich bin auch kein Sie 🙂

  • Renata Zett
    Gepostet am 08:51h, 07 November Antworten

    Interessante Philosophie!

  • Nico
    Gepostet am 22:00h, 07 September Antworten

    Genau! Wir sind hier um die Schönheit zu genießen und um miteinander zu spielen! Sat-cit-Ananda!

  • Alex
    Gepostet am 17:02h, 28 August Antworten

    In Deinem Artikel gehst Du, lieber Ron, von der Annahme aus, dass mit “Leerheit” so etwas wie “nichts” gemeint wäre. Das ist jedoch das übliche Missverständnis, das sicher auch durch den leicht falsch zu verstehenden Begriff “Leerheit” verursacht wird. Zum einen ist “Leerheit” ein Hinweis, dass die spirituelle Wirklichkeit nicht in Begriffe zu fassen ist – man kann mit Begriffen eben nur wage darauf hinweisen. Zum anderen gehört zum Verständnis der Leehrheit auch ein Verständnis des “abhängigen Entstehens”. Alles unterliegt vielfältiger Ursachen. Nichts entsteht aus sich selbst heraus. Alles Entstehen erfolgt in Abhängigkeit von einer Vielzahl von Faktoren. Das ist – soweit ich das intellektuell verstanden habe – damit gemeint, wenn von “Leerheit eines unabhängig existierenden Selbst” gesprochen wird.
    Es ist sicher nicht das Ziel der buddhistischen Praxis, dass sich unser Gewahrsein in ein Nichts auflöst. Vielmehr wird das Gewahrsein weit und unbegrenzt wie der Raum, frei von Hindernissen und erfüllt von allumfassendem Mitgefühl. In der Meditation ist es möglich, die eigentliche Natur des Geistes, die sich jeder verbalen Beschreibung entzieht, zu erkennen. Auch wenn ich diese Erfahrung selbst noch nicht gemacht habe, so vertraue ich auf meine Lehrer, dass mit geduldiger Praxis diese Erkenntnis möglich ist.

  • Demian von Persönlichkeitsentwicklung4u
    Gepostet am 14:09h, 16 August Antworten

    Endlich eine Stimme, die dem Vorherrschen von Advaita und Buddhiismus in der spirituellen Szene etwas entgegenhält! Auch ohne Bezüge zur indischen Spiritualität können wir feststellen, dass Advaita und Buddhismus zu einseitig sind, wenn es um spirituelle Reallität geht. In dem, was unsere Seele bewegt können wir göttliche Ordnung erkennen und die Seele hat ein Zentrum, auch wenn es nicht festgefügt ist, sondern fluktuiert. Es ist trotzdem ein Zentrum, das nichts mit dem Ego zu tun hat. Wir brauchen dringend eine ganzheitliche Spiritualität, die das Leben und das Rückverbinden des Lebens einbezieht.

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