26 Mai Im Vertrauensraum transparent sein
Wie Gemeinschaft gelingt
Autor: Johannes Heimrath, Lara Mallien
Kategorie: Gemeinschaften/Projekte
Ausgabe Nr: 91
Seit 45 Jahren leben Johannes Heimrath und Lara Mallien in einer Gemeinschaft, aktuell mit rund 30 Menschen. Wesentlich, um eine Gemeinschaft lebendig und gesund zu erhalten, sind für sie die ›weichen Faktoren‹, vor allem der Mut, sich einander zuzumuten. Zudem erfahren wir Erstaunliches über das Prinzip der Allmende und darüber, was Eigentum eigentlich wirklich bedeutet. Ein Blick in eine eigene Welt, die das ganze Leben umfasst.
Tattva Viveka: Heute begrüßen wir zwei Urgesteine der Gemeinschaftsbewegung, die sehr viel Praxiserfahrung haben und die ich seit 20 Jahren kenne: Lara Mallien und Johannes Heimrath. Als wir uns damals kennenlernten, habt ihr die Zeitschriften KursKontakte und Hagia Chora herausgegeben. Wir gründeten damals zusammen die Mediengruppe KulturKreative, einen Zusammenschluss von spirituell-kreativen Zeitschriften. Heute publiziert ihr Oya. Enkeltauglich leben! Ihr seid aber auch aktiv auf ganz vielen anderen Gebieten und lebt schon seit sehr langer Zeit in Gemeinschaft mit relativ vielen Menschen. Wie lange gibt es eure Gemeinschaft schon?
Johannes Heimrath: Wir existieren seit 45 Jahren, und wir können mit Fug und Recht sagen, wir sind die älteste intentionale Gemeinschaft in Deutschland, deren Gründer:innen-Gruppe nach wie vor zusammenlebt. Das ist schon etwas Eigenartiges. Manchmal fragen die Leute: Wie habt ihr das gemacht? Was hält euch zusammen? Habt ihr ein Glaubensbekenntnis oder eine Ideologie? Dann müssen wir passen. Das Einzige, was wir sagen können, ist, wir mögen uns.
Der gemeinsame Nenner ist Zuneigung und die hat bis heute gehalten.
Es sind natürlich in der Zeit Menschen zu uns gewachsen, Kinder, Freunde von Kindern, Menschen, die unser Umfeld und das, was wir machen, gut fanden und sich nach und nach angegliedert haben. Aber es war immer die Basis, dass wir so etwas wie eine Großfamilie sind – nicht blutsverwandt, sondern wahlverwandt, und das ist das Kennzeichen, das uns bis heute trägt. Auch wenn man Klein Jasedow besucht, den Ort, in dem wir jetzt leben, kurz vor der Insel Usedom, dann trifft man auf eine familiär zusammenlebende Gemeinschaft von ungefähr 30 Menschen in allen Generationen und davon ist die überwiegende Anzahl weiblich, die geringere Zahl männlich. Die beiden Differenzierungen haben wir. Andere sind uns intern noch nicht bekannt geworden.
TV: Ihr habt ein sehr rühriges Leben, das habe ich immer schon bei euch gesehen. Ihr seid unglaublich aktiv, ökologisch, politisch, künstlerisch, in der Region, bundesweit, weltweit, online, offline. Und ihr seid auch irgendwie pragmatisch. Ihr seid nicht allzu unversöhnlich mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten, die es halt so gibt.
Ihr habt eine sehr individuelle Geschichte als Gemeinschaft. Bei euch ist der Begriff der Familie zentral. Es geht um Zuneigung, das Nest und dann die Kunst, die Musik und du hast den Begriff intentionale Gemeinschaft erwähnt. Ihr habt eigentlich kein ideelles Zentrum in eurer Gemeinschaft in dem Sinne, dass ihr eine bestimmte Politik oder eine bestimmte Religionsform habt, die einen festen Rahmen gibt, wo sich die Mitglieder einordnen. Dieter Halbach nannte das die »leere Mitte« solcher Gemeinschaften. Man schließt sich nur um der Gemeinschaft willen zusammen. Dann kann es aber auch leichter Instabilitäten oder Herausforderungen innerhalb der Gemeinschaft geben. Was würdet ihr Leuten raten, die eine Gemeinschaft gründen wollen? Was ist denn diese Mitte bei euch? Oder was ist das, das Stabilität bringen kann?
Sich einander zumuten
Lara Mallien: Da fällt mir als Erstes ein: die Bereitschaft, sich einander zuzumuten.
TV: Interessant.
Johannes: Ja, das ist ein ganz wichtiges Wort. Da steckt ›Mut‹ drin. Ich würde nicht nur die Bereitschaft sagen, sondern der Mut, sich einander zuzumuten. Das ist ganz kongruent mit einem Satz, den wir von der leider tödlich verunglückten Silke Helfrich geschenkt bekommen haben: im Vertrauensraum transparent sein. Das heißt,
um sich einander zumuten zu können, musst du sichtbar sein. Und diese Sichtbarkeit erfordert Mut.
Das heißt nicht, dass man sich bis auf die Knochen entblößt, sondern sichtbar ist in seinen Intentionen, in der Art und Weise, wie man handelt. Der Vertrauensraum ist notwendig, damit du das ohne Angst tun kannst. Ich habe in früheren Jahren viele Gemeinschaften beraten, und es war immer die Kernfrage, ob jemand überhaupt sicher ist, dass er oder sie ein Gemeinschaftsmensch ist. Diese Frage muss ja zunächst erst einmal beantwortet werden, und da gibt es viele Illusionen.
Dann kommen Antworten wie: Ja, natürlich, und ich brauche Gemeinschaft, denn wenn ich in Gemeinschaft bin, dann geht es mir besser, dann kann ich mich besser organisieren, dann kommen die ganzen Sehnsüchte und die Einsamkeit hervor.
Unsere beiden wichtigsten Sätze sind: Was kann ich dazu beitragen, dass Gemeinschaft gelingt? Das heißt, Gemeinschaft ist etwas, in das muss ich etwas investieren, damit überhaupt entsteht, was wir Familie oder Nest nennen. Der andere Satz heißt: Was kann ich unterlassen, das dich stört? Vielleicht kann ich nicht alles unterlassen, dann muss ich auch fragen, warum stört es dich? Warum stört mich etwas von dir? Wenn man sich an diesen Fragen entlanghangelt, kommt man auf eine Verfasstheit, die voller Respekt für den anderen ist und auf der anderen Seite den Herausforderungen, denen der andere und man selbst sich gegenüberstellt, nicht ausweicht. Das sind Prozesse, die dauern manchmal Jahre.
Das war nur der Anfang des Artikels.
Du möchtest mehr darüber erfahren, was es bedeutet sich einander zuzumuten? Und was dies mit Gemeinschaften und Allmenden zu tun hat?
Dann lies die vollständige Fassung in Tattva Viveka 91.
Tattva Viveka Nr. 91
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Schwerpunkt: Leben in Gemeinschaft
Erschienen: Juni 2022
Jo Eckardt – Überleben in Gemeinschaft. Wie die Evolution Kooperation und Altruismus entstehen ließ • Johannes Heimrath und Lara Mallien –
Im Vertrauensraum transparent sein. Wie Gemeinschaft gelingt • Stefanie Raysz – Leben, Lernen und Arbeiten an einem Ort. Das Leben einer Familie in der Gemeinschaft • Claus Reimers – Ein Leben für die Gemeinschaftsbewegung. Einblick in die Entstehung und Entwicklung der Gemeinschaft Schloss Tempelhof • Stefanie Aue –
Die Community lebendig halten. Vor Ort in der Gemeinschaft Parimal Gut Hübenthal • Achim Ecker – Lieben ist eine politische Aufgabe. Langjährige Gemeinschaftserfahrung im ZEGG • Barbara Stützel – Gemeinschaft als Entwicklungsweg. Welche persönlichen Fähigkeiten zu mehr Verbundenheit beitragen • Dieter Halbach – »Beteiligung ist das Herz der Demokratie«. Wie die Prinzipien der Gemeinschaftsbewegung in der Gesellschaft angekommen sind • Dr. Thomas Steininger – Der Mut zu träumen. Commons, Blockchain, Peer-to-Peer-Beziehungen und die Vision einer neuen Netzwerkkultur • Ronald Engert – Die Wahrheit wird uns nicht davonlaufen. Plädoyer für Walter Benjamin • Dr. Annette Blühdorn – Das metaphorische Herz Teil 2. Zeuge des archaischen Bewusstseins • Dr. Iris Zachenhofer und Andraes Kalff – Die Annäherung von Medizin und Schamanismus. Ein Weg ganzheitlicher Heilung • u.v.m.
Über die Interviewten
Lara Mallien, Jahrgang 1973, widmet sich dem Aufbau des »Lernorts Subsistenz« Klein Jasedow. In dem vorpommerschen Dörfchen lebt sie seit 1997 in einer heute etwa 30-köpfigen Gemeinschaft. Dort engagiert sie sich unter anderem für den Verein Europäische Akademie der Heilenden Künste und das Landwirtschaftsprojekt »Allmendhof Klein Jasedow«. Sie ist Mitbegründerin der Zeitschrift Oya. Enkeltauglich leben!
Johannes Heimrath, Jahrgang 1953, ist Pionier auf vielen kulturkreativen Gebieten. Ursprünglich Komponist und Musiker, fand er seine praktischen Lebensthemen in der Ökologie, der Bildung und der gemeinschaftlichen Lebens- und Wirtschaftsweise. Er war zehn Jahre lang Herausgeber der Zeitschrift Oya. Enkeltauglich leben! und widmet sein nächstes Lebensjahrzehnt als Bauer dem Aufbau des landwirtschaftlichen Pionierprojekts »Allmendhof Klein Jasedow«.
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© Alle Bilder: Lara Mallien u.a.
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