Die Heimkehr der Göttin – Teil 1

Die Heimkehr der Göttin – Teil 1

Unsere mythische Heldinnenreise

Autor: Sarah Rubal
Kategorie: Mann/Frau
Ausgabe Nr: 97

Die bekannte Heldenreise von Joseph Campbell wird hier gegen den Strich gelesen. Die Autorin entfaltet eine weibliche Form der Heldenreise, die auf ganz anderen Prämissen basiert und einen anderen Blick auf das Weibliche wirft. Sie distanziert sich damit von der patriarchalen Geschichte und Mythologie, um eine alternative Kulturgeschichte der Frauen zu schreiben. Ein starker Aufbruch, der mit der Heimkehr der Göttin endet.

Wer sich mit Storytelling oder mit C. G. Jung auseinandersetzt, der kommt an der Heldenreise nicht vorbei. Von der Odyssee über das Gilgamesch-Epos und Star Wars bis Harry Potter bildet sie das Grundmuster aller großen Erzählungen der Menschheit, so heißt es. Der Mythenforscher Joseph Campbell ist der Entdecker dieser mythischen Erzählstruktur, die zu Disneys Erfolgsgeheimnis wurde. In zwölf Schritten reist der Held in die Unterwelt und kehrt mit einem Elixier in die Oberwelt zurück, deren Herrscher er wird. Im Wort »Herrscher« liegt schon der erste Hinweis, womit wir es hier zu tun haben – mit männlichem Größenwahn. Die Unterwelt, die eigene Psyche, als Ort der Machtaneignung des Männlichen.

Drehbuchautor Christopher Vogler passte die Heldenreise für Drehbuchautoren und den Film an. Seither fasziniert die Heldenreise Geschichtenerzähler ebenso wie Suchende und Psychonauten. Sie gilt als der Schlüssel zu unserer Seele und zu unserer Selbstheilung. Doch was hat es mit der Heldenreise auf sich, die doch per se schon an Männer gerichtet ist? Wo sind sie, die Heldinnen? Einige Versuche hat es bereits gegeben, die Heldenreise auch für Frauen zu übersetzen, etwa von Maureen Murdock, einer Schülerin Joseph Campbells, doch dieser Versuch kann als gescheitert betrachtet werden. Sie bleibt dem Patriarchalen verhaftet. Die Frau wird nicht zur Protagonistin der Heldenreise, sondern zu ihrem Ziel, sie ist die Prinzessin, die der Held am Ende gewinnt. Kann das wirklich die Bestimmung für Frauen sein? Selbstbestimmung für Frauen? Fehlanzeige. Die Frau gewinnt nichts. Sie bleibt Objekt, wird nicht zum handelnden Subjekt.

Wo also sind sie, die Mythen, die uns von unserer Selbstwerdung erzählen? Verschüttet, verloren, im großen Vergessen, weil unsere Kultur in den vergangenen 7.000 Jahren eben vor allem durch männliche Denkstrukturen, männliche Geschichten, männliches Streben geprägt wurde. Weibliches Wissen ging vielfach verloren, weil es nicht überliefert wurde, doch wir können es aus Mythen, Märchen, aus erhaltenem Wissen in indigenen Kulturen und unserem eigenen Erfahrungswissen rekonstruieren.

Patriarchale Rollenmuster

Als Biografin begegnen mir viele Frauen und mir fiel auf, dass sie alle in ihrem Leben von einer großen Krise sprachen, die ihnen aber letztlich dabei half, zu sich selbst zu finden und sich von patriarchalen Rollenmustern zu befreien. Oft sind es Frauen um die 40, die auf einmal feststellen, dass all das, was man ihnen mit Anfang 20 als »Glück« versprach, seine Versprechen nicht eingelöst hat. Partnerin, Mutterrolle, Karrierefrau, all das sind Rollen, die uns von außen vorgegeben werden und die wir ungefragt übernehmen, weil sie uns »natürlich« erscheinen, da sie ein Teil unserer gelebten Kultur sind und wir sie millionenfach in unserer Umwelt in Werbung, Filmen, Büchern, Vorbildern finden. Haben wir uns je gefragt, ob diese Rollen wirklich zu uns passen, ob sie überhaupt dazu geeignet sind, uns glücklich zu machen?

Und was bedeutet Glück für uns Frauen überhaupt?

Die dargestellten Frauen sind oft erfolgreich, kreativ, schön, sie sind unabhängig und selbstbestimmt, sie erfüllen alles, was man ihnen äußerlich abverlangt, um in diese Gesellschaft zu passen, sie streben nach Selbstverwirklichung und Glück, doch genau das will sich bei den Frauen, die mir begegneten, einfach nicht einstellen. Funktioniert die männliche Heldenreise etwa für Frauen nicht? Ganz gleich, wie oft ich die Heldenreise in meinen Erzählungen anwandte, sie taugte einfach nicht für weibliche Protagonistinnen. Es gab zwar Versuche, sie sozusagen »weiblich« zu übersetzen, doch sie alle blieben dem patriarchalen Diskurs verhaftet. C. G. Jung selbst war der Meinung, dass das Innenleben von Frauen und ihre Bewusstseinsentwicklung nicht so spannend sein könnten wie das von Männern. Einen Verweis auf das, was mich an der Heldenreise störte, fand ich bei der missverstandenen Feministin Mary Daly. Es war ein einziger Satz, in dem sie von einem Gespräch mit Joseph Campbell berichtete, der sagte, die Frauen brauchten die Heldenreise nicht, sie »seien längst dort«.

Unsere mythische Heldinnenreise

Ein bemerkenswerter Satz, dem kaum jemand Beachtung schenkte, weil Mary Dalys Analyse selbst als ein Mysterium gilt, schon aufgrund ihrer Sprache.

Was Joseph Campbell meinte, ist, dass Frauen die Trennung vom Selbst, vom Unbewussten und der Welt an sich, nicht überwinden müssen, weil sie mit ihr auf andere Weise verbunden sind.

Das trifft auf den Urzustand des Weiblichen wohl zu und wird auf vielfältige Weise von der Forschung unterstützt, ob es nun um die Nutzung der linken Hirnhälfte bis zum Ende der Fruchtbarkeit oder das Großmutter-Paradox geht, doch

knapp 6.000 Jahre Patriarchat haben in uns Frauen das hinterlassen, was man ein kollektives, transgeneratives Trauma nennen kann. Wir, das sind die Überlebenden. Die Widerständigen sind tot.

Dies ist der erste Teil. Wie die Heldinnenreise weitergeht, erfährst du im zweiten Teil, der in der kommenden Ausgabe erscheinen wird.

Dies ist nur der Anfang des Artikels.

Was die Heldinnenreise von der Heldenreise unterscheidet und welche Etappen die Heldin durchschreiten muss, liest du im vollständigen Artikel, der in Tattva Viveka 97 erschienen ist.

Tattva Viveka 97

Tattva Viveka Nr. 97

Inhalt der Ausgabe

Schwerpunkt: Trauma und Heilung
Erschienen: Dezember 2023

Gabor Maté – Vom Mythos des Normalen • Thomas Hübl – Trauma reduziert unsere Beziehungsfähigkeit. Adäquate Beziehung als Mittel zur Heilung von individuellem und kollektivem Trauma • Lea Loeschmann – Körperloses Bewusstsein kann nicht sterben. Von der Rückgewinnung des Urvertrauens ins Leben • Ronald Engert – Trauma und Heilung. Wie man an der Ursache ansetzt und nachhaltig heilt • Gabriella Rist – Wie Traumaheilung durch Neurophilosophie und Körperpsychotherapie gelingen kann. Die Suche nach dem wahren Selbst • Saskia John – »Erste-Hilfe-Koffer« bei Angst und Panik. Fünf wirksame Tipps zur Sofortmaßnahme • Prof. Dr. Niko Kohls – Die gesellschaftliche Akzeptanz von Achtsamkeit und Spiritualität. Ein Abbild des Bewusstseinsstandes der gegenwärtigen Gesellschaft Teil 2 • Sarah Rubal – Die Heimkehr der Göttin. Unsere mythische Heldinnenreise (Teil 1) • Christiane Krieg – Dein spiritueller Wegweiser durch die Raunächte. Öffne dich für deine Herzensvision • Martin Auffarth – Atem der Welt. Das Vaterunser in der aramäischen Muttersprache von Jesus • u.v.m.

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Zur Autorin

Die Autorin Sarah Rubal

Sarah Rubal ist Schriftstellerin, Ghostwriter und Drehbuchautorin. Nach einem Studium der Geschichte und Ethnologie in Frankfurt verbrachte sie Zeit bei Indigenen Nordamerikas, insbesondere den Lenape (Delaware). Die Suche nach weiblicher Befreiung in Einklang mit Spiritualität begleitet sie schon seit vielen Jahren. Mit ihren Kindern lebt sie in der Nähe von Frankfurt am Main. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, unter anderem Kinderbücher zu indigenen Mythen.

Webseite: die-heimkehr-der-goettin.de

Sarah Rubal -Die Heimkehr der Göttin.

BUCHTIPP

Sarah Rubal
Die Heimkehr der Göttin
Die mythische Heldinnenreise zu Transformation und Ganzheit

Taschenbuch, 27,99 Euro
ISBN 978-3757559434

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