15 Aug Die unbekannte Religion der Jainas
Altes Wissen für eine moderne Welt
Autor: Dr. Patrick Krüger
Kategorie: Veden/Yoga
Ausgabe Nr: 92
Gewaltlosigkeit und Verzicht sind die höchsten Gebote der Religion des Jainismus, der neben dem Hinduismus und dem Buddhismus seinen Ursprung in Indien findet. Dieser Beitrag führt in die Geschichte, Ethik und Kosmologie dieser im Westen wenig bekannten Religionsgemeinschaft ein und stellt die Frage, wie ihre Prinzipien dem modernen Menschen als Orientierung dienen können.
Aus der Kultur des alten Indien entwickelten sich drei Religionen, die bis heute fortbestehen: Brahmanismus, Buddhismus und Jainismus. Der Brahmanismus lebt fort in den hinduistischen Religionen, denen heute die Mehrzahl der indischen Bevölkerung angehört. Der Buddhismus verschwand im 12. Jahrhundert aus Indien und verbreitete sich über weite Teile Asiens. Der Jainismus wird häufig übersehen und ist im Westen außerhalb religionswissenschaftlicher Kreise nahezu unbekannt. Obwohl er heute zu den kleineren Religionsgemeinschaften Südasiens gehört, ist sein Beitrag zur indischen Kultur und Geistesgeschichte beträchtlich. Ebenso wie der Buddhismus ging der Jainismus aus einer asketischen Reformbewegung hervor, die sich um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends der geistigen Vormachtstellung der Brahmanen entgegenstellte.
Anstelle des vedischen Opferwesens verkündeten deren Vertreter einen Erlösungsweg, der auf Weltentsagung und strengster Askese beruhte.
Während der letzten Jahrzehnte entstanden zahlreiche jainistische Gemeinden in der Diaspora, vor allem in Nordamerika, Europa und Afrika. Mit der Ausbreitung des Jainismus über die Grenzen Indiens hinaus suchen die Jainas heute zunehmend den Anschluss an interreligiöse Diskurse. Dabei betreibt der Jainismus keine Mission. Vielmehr versuchen seine Anhänger, der Welt zu vermitteln, welchen Beitrag der Jainismus zur Lösung der Menschheitsfragen anzubieten hat. Es ist daher an der Zeit, diese Religion näher kennenzulernen.
Ein Blick in die Geschichte
Um 600 v. Chr. kam es im nördlichen Indien zu gewaltigen gesellschaftlichen Umbrüchen. Nach dem Niedergang der urbanen Zentren der Industal-Kultur hatte sich im nördlichen Indien eine dörfliche Kultur herausgebildet. Nun entstanden im Nordosten Indiens größere Städte, deren Bewohner verglichen mit dem dörflichen Umland in relativ kurzer Zeit zu Wohlstand gelangten. Die Entstehung der Städte brachte eine Spaltung der Gesellschaft mit sich. Während die Menschen in den Städten von Fortschritt und Wohlstand profitierten, empfand die dörfliche Gesellschaft das Leben zunehmend als entbehrungsreich und leidvoll. Aus der Literatur dieser Zeit lässt sich auch herauslesen, dass in weiten Teilen der Bevölkerung große Furcht vor dem Tod herrschte. Die überlieferten Religionen boten den Menschen weder Hoffnung noch einen Ausweg aus ihrer Situation, und so entstanden in dieser Zeit neue religiöse Bewegungen. Diese hinterfragten die Wirksamkeit regelmäßiger Opfer und der Unterordnung unter die herrschende gesellschaftliche Ordnung. Wanderasketen predigten im nordöstlichen Indien nun eine Lehre, die Erlösung durch Askese versprach und sich dem Besitzstreben der städtischen Bevölkerung entgegenstellte.
Aus den Lehren dieser Asketen gingen schließlich der Buddhismus und der vermutlich etwas ältere Jainismus hervor. Auch einige andere Wanderprediger und ihre Lehren werden in der buddhistischen Literatur genannt, die meisten verschwanden jedoch nach einiger Zeit und mit ihnen die von ihren Anhängern gepredigte Lehre.
Die genauen Umstände, die zur Gründung einer jainistischen »Urgemeinde« führten, sind nicht überliefert.
Ebenso unbekannt sind die geistigen Lehrer und Anführer, die an diesem Prozess beteiligt waren. Zumindest aus historischer Perspektive verliert sich ihre Spur im Dunkel der Geschichte. Trotzdem kennt die jainistische Überlieferung eine Gründerfigur: den Wanderprediger Vardhāmana Mahāvīra, genannt der Jina (»Sieger«).
Der Jina
Die in den jainistischen Schriften überlieferte Legende berichtet von einem Prinzen, der auf den Thron verzichtete und stattdessen als Wandermönch durch das Land zog, bevor er nach langen Jahren der Askese schließlich die Allwissenheit und Erlösung erlangte. Die Geschichte dieses Prinzen existiert in verschiedenen Fassungen, die im Laufe der Zeit erweitert und ausgeschmückt wurden. Die bekannteste Version dieser Erzählung ist im Kalpasūtra enthalten, einem Text, der vermutlich im 3. oder 4. Jahrhundert vollendet wurde.
Viele Existenzen hatte die Seele des künftigen Jina bereits durchlebt und sich dabei schrittweise von allen karmischen Verstrickungen befreit.
Schließlich inkarnierte sich die Seele im Körper eines Gottes und verweilte für einen sehr langen Zeitraum in den Himmeln, bevor sie zu ihrer letzten Existenz auf die Erde hinabstieg, denn nur in einem menschlichen Dasein kann der Weg zur Erlösung beschritten werden. Hier setzt die Erzählung über das Leben und Wirken Mahāvīras ein, die in der frühesten Fassung die Ereignisse von seinem Herabstieg bis zur ersten Predigt umfasst.
Mahāvīra manifestierte sich als Embryo im Körper der Brahmanin Devānandā, die in dem von Brahmanen bewohnten Teil des Dorfes Kuṇḍagrāma lebte. Nachdem Mahāvīra in ihren Leib eingetreten war, erschienen der schlafenden Brahmanin vierzehn Traumbilder. Am nächsten Morgen berichtete Devānandā ihrem Gemahl, dem Brahmanen Ṛṣabhadatta, von den Träumen, und er erklärte ihr deren Bedeutung. Diese 14 Glück verheißenden Träume kündigen die Geburt eines Sohnes an, der ganz im brahmanischen Sinne Gelehrsamkeit und höchste Kenntnis der vier Veden erlangen würde.
Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.
Wie die Legende des Religionsstifters des Jainismus weitergeht und wieso die Werte der Gewaltlosigkeit und des Verzichts in dieser Religionsgemeinschaft besonders stark ausgeprägt sind, erfährst du im vollständigen Artikel, der in Tattva Viveka 92 erschienen ist.
Tattva Viveka Nr. 92
Wähle: Einzelheft, Abo oder Tattva Members
Schwerpunkt: Frieden
Erschienen: September 2022
Thomas Hübl – Kollektives Trauma heilen. Ein Integrationsprozess • Ulrich Duprée – Vergebung auf Hawaiianisch. Wie das Verzeihen Heilung ermöglicht • Mironel de Wilde – Gewaltfreie Kommunikation. Eine Form des Bewusstseins •Dr. Dieter Duhm – Heilungsbiotope als Weg zum Frieden. Wie wir den Krieg überwinden und zu innerem und äußerem Frieden finden • Ronald Engert – Ewiger Frieden durch Transzendenz. Was sagen die spiritituellen Traditionen? • Sri Preethaji – Der Weg zur Erleuchtung. Wie man Grenzen überwindet und inneren Frieden findet • Dr. Patrick Krüger – Die unbekannte Religion der Jainas. Altes Wissen für eine moderne Welt • Catharina Roland – Das Manifest der neuen Erde. »Jeder kann zu einem Leuchtturm werden« • Florin Mihail – Achtsamkeit für ein langes Leben. Über Chromosomen, Stress und die Wunderwaffe Meditation • Prof. Dr. Peter Hubral – Adam und Eva. Der Mythos als Allegorie für den Weg des geistigen Aufstiegs • Buchbesprechungen • u.v.m.
Über den Autor
Dr. Patrick Felix Krüger, Studium der Indischen und Ostasiatischen Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin sowie Geschichte Südasiens und Islamwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin; daneben intensive Studien in Indologie, Tibetologie und Mongolistik. Als Indologe und Kunsthistoriker ist er spezialisiert auf die Kunst-, Kultur- und Religionsgeschichte des Jainismus im antiken, mittelalterlichen und modernen Indien.
Webseite: ceres.rub.de/de/personen/patrick-kruger/
Weitere Artikel zum Thema
- TV 84: Dr. Franz Alt – Die Revolution des Mitgefühls.
Ein Appell an die Menschheitsfamilie - TV 63: Mirjam Lüpold – Die geschenkte Freiheit.
Rituelle Tierbefreiung im Buddhismus - TV 47: Hadayatullah Hübsch – Viele Flüsse, ein Meer.
Gemeinsamkeiten von Buddhismus, Hinduismus und Islam - TV 31: Dipl.-Psych. Gisela Belloff – Geistige Wege für mehr Frieden und Toleranz.
Bericht vom internationalen Friedenskongress 2006 - TV 29: Ronald Zürrer – Vegetarismus in den Weltreligionen.
Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus, Hinduismus - TV 02: Marcus Schmieke – Sanftmut – spirituelle Wege zur Gewaltlosigkeit.
Bericht vom Symposion in Hannover von Marcus Schmieke - OS 17: Christof Spitz – Buddhismus
- OS 20: Christoph Harrach – Yoga und Business
Bildnachweis: © Harsha Vinay
Keine Kommentare