Gewaltfreie Kommunikation

Gewaltfreie Kommunikation

Eine Form des Bewusstseins

Autor: Mironel de Wilde
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 92

Gewaltfreie Kommunikation ist bekannt für einen achtsamen Dialogansatz zur Konfliktlösung. Mironel de Wilde zeigt auf, wie bewusste Kommunikation darüber hinaus zu mehr Mitgefühl und Authentizität in unserem Leben beitragen kann und welche Rolle das Bewusstsein für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse dabei spielt.

Tattva Viveka: Lass mich mit einer einfachen Frage beginnen: Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

Mironel de Wilde: Du sagst, es sei eine einfache Frage, und wir Trainer der Gewaltfreien Kommunikation würden uns wünschen, dass dem so sei, aber es ist tatsächlich schwierig, Gewaltfreie Kommunikation auf eine einfache Definition zu reduzieren. Die meisten Menschen kennen sie als einen Ansatz zur Kommunikation, darauf deutet der Name bereits hin. Wir sprechen und kommunizieren auf eine Art und Weise, die verbindend ist, und doch würde ich es eher als eine Form des Bewusstseins bezeichnen. Ich möchte es gewaltfreies Bewusstsein nennen. Es ist eine Art und Weise, das »Anderssein« zu betrachten. Dabei vermeiden wir es, eine Trennung zwischen den Dialogpartnern zu erschaffen. Diese Trennung entsteht, wenn wir zum Beispiel darüber urteilen, was richtig oder falsch ist.

Gewaltfreie Kommunikation ist angewandte Achtsamkeit, ein Bewusstseinsprozess, der unser ganzes Wesen und das Wesen der anderen miteinbezieht.

Das ist die Essenz der Gewaltlosigkeit.

Gewaltfreie Kommunikation ist angewandte Achtsamkeit des gesamten Geistes und seiner Inhalte. Es ist eine Achtsamkeit des Herzens, der Gefühle und der Bedürfnisse. Die Bedürfnisse nenne ich gerne die Ebene der Seele.

Die Seele ist der Ort, an dem wir spüren, was uns wirklich wichtig ist.

Wenn wir uns all dieser Ebenen unseres Seins bewusst sind, können wir auf das zugehen, wonach wir uns wirklich sehnen, anstatt zu versuchen, Dinge zu vermeiden, die wir nicht mögen. Dies ist ein Zeichen von Authentizität. Gehen wir auf das zu, was wir wollen, oder versuchen wir, von etwas wegzukommen? Wenn wir versuchen, von etwas wegzukommen, bedeutet das, dass wir auf das Leben reagieren und vielleicht nicht völlig frei sind.

Gewaltfreie Kommunikation ist daher ein Bewusstwerdungsprozess, der uns frei macht, uns authentisch auf das zuzubewegen, was uns wichtig ist, und andere einzuladen, uns dabei zu unterstützen. Natürlich können wir auch andere in ihrem Leben unterstützen. Auf diese Weise erleben wir das Leben als grundlegend schön – selbst in seinem Schmerz und seiner Tragödie. Dem ganzen Phänomen liegt eine tiefe Schönheit zugrunde, die wir durch Gewaltfreie Kommunikation kultivieren. Aus diesem Bewusstsein heraus können wir natürlich kommunizieren und Differenzen, Schwierigkeiten und Konflikte auf der Grundlage einer grundlegenden Verbindung miteinander und mit den Sehnsüchten des anderen lösen.

Gewaltfreie Kommunikation

TV: Welche Rolle spielt die andere Person in der Gewaltfreien Kommunikation – im Dialog?

Mironel: Wenn man in der Gewaltfreien Kommunikation sehr versiert ist, braucht man nicht zu erwarten, dass die anderen Menschen eine bestimmte Rolle einnehmen. Man lernt, sich alles, was der andere sagt, vom Herzen her anzuhören – auch wenn es eine Beleidigung oder Kritik ist. Es mag unangenehm zu hören sein oder sogar schmerzhaft, aber ich kann immer noch das Herz oder das Bedürfnis in dem hören, was der andere sagt. Wenn ich mich nicht so gut mit Gewaltfreier Kommunikation auskenne, ist es hilfreich, wenn beide Personen Verantwortung für sich selbst übernehmen und Einfühlungsvermögen für den anderen haben. Leider ist das nicht immer der Fall.

Eine oft gestellte Frage ist: »Wie kann ich gewaltfrei kommunizieren, wenn der andere das nicht tut?« Die Antwort ist: Wir sollten auf die Sehnsüchte des anderen hören und nicht auf seine Worte. Die Worte können alle möglichen Urteile, Kritik und Vorstellungen darüber enthalten, was richtig oder falsch ist oder wie die Dinge sind oder sogar darüber, was die Realität ist. Wir können uns leicht über die Realität streiten. Wenn das der Fall ist, sollten wir darauf hören, was diese Person wirklich will.

Wie sähe das schönste Leben oder die schönste Welt oder die schönste Situation für diese Person aus?

Wenn ich das, was eine Person sagt, in ihre Sehnsüchte und Wünsche übersetzen kann, dann fange ich an, sie wirklich zu hören. Dann bin ich wirklich bereit, ihr zuzuhören. Ich möchte jedoch eins klarstellen: Wenn ich von dem, was die andere Person sagt, getriggert werde, ist es schwer, Empathie für mein Gegenüber zu entwickeln. Wenn das Gesagte für mich schmerzhaft ist, muss ich bei der Empathie für mich selbst beginnen. Dies ist ein Grundsatz der Gewaltfreien Kommunikation – zuerst kommt das Selbstmitgefühl. Wenn das Selbstmitgefühl erst einmal da ist, kann man, auch wenn man es nicht braucht, in der eigenen Mitte bleiben und sich die Sehnsüchte des anderen anhören.

TV: Welche Rolle spielen Gefühle in der Gewaltfreien Kommunikation?

Mironel: Gefühle spielen in der Tat eine sehr wichtige Rolle;

Gefühle sind die ehrliche Antwort unseres Systems auf das Leben und der Schlüssel zur Authentizität.
Eine Form des Bewusstseins

Ich traue der Authentizität von jemand anderem nicht, wenn ich nicht auf seine Gefühle eingestimmt bin. Denn Gefühle sind die Botschaft des Systems. So reagiere ich tatsächlich auf die Situation, auf dich und auf das, was du sagst.

Der Verstand kann uns alle möglichen Geschichten erzählen und mir zum Beispiel sagen, ich sollte in einer bestimmten Situation höflich sein. Wenn ich wütend bin, ist das jedoch meine ehrliche Reaktion, und ich habe eigentlich keine Lust, höflich zu sein.

Das Interview führten Ronald Engert und Stefanie Aue.

Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.

Inwiefern die Kommunikationsform Gewaltfreie Kommunikation zu Mitgefühl für uns selbst und unsere Mitmenschen führt und so ein Beitrag zu einer friedlicheren Welt leistet, erfährst du im vollständigen Artikel, der in Tattva Viveka 92 erschienen ist.

Tattva Viveka 94

Tattva Viveka Nr. 92

Inhalt der Ausgabe

Schwerpunkt: Frieden
Erschienen: September 2022

Thomas Hübl – Kollektives Trauma heilen. Ein Integrationsprozess • Ulrich Duprée – Vergebung auf Hawaiianisch. Wie das Verzeihen Heilung ermöglicht • Mironel de Wilde – Gewaltfreie Kommunikation. Eine Form des Bewusstseins •Dr. Dieter Duhm – Heilungsbiotope als Weg zum Frieden. Wie wir den Krieg überwinden und zu innerem und äußerem Frieden finden • Ronald Engert – Ewiger Frieden durch Transzendenz. Was sagen die spiritituellen Traditionen? • Sri Preethaji – Der Weg zur Erleuchtung. Wie man Grenzen überwindet und inneren Frieden findet • Dr. Patrick Krüger – Die unbekannte Religion der Jainas. Altes Wissen für eine moderne Welt • Catharina Roland – Das Manifest der neuen Erde. »Jeder kann zu einem Leuchtturm werden« • Florin Mihail – Achtsamkeit für ein langes Leben. Über Chromosomen, Stress und die Wunderwaffe Meditation • Prof. Dr. Peter Hubral – Adam und Eva. Der Mythos als Allegorie für den Weg des geistigen Aufstiegs • Buchbesprechungen • u.v.m.

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Über den Interviewten

Unser Autor Mironel de Wilde

Mironel de Wilde wurde in Gewaltfreier Kommunikation und Living Compassion (Gelebtem Mitgefühl) ausgebildet. Er arbeitet derzeit als Entwicklungsberater für Gewaltfreie Kommunikation für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Nepal. Er ist Friedensberater und Shaivismus-Lehrer.

Webseite: mironeldewilde.com

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